Martin Reichert
(im Bild) ist Redakteur bei der Berliner Tageszeitung taz. Dort beschäftigt sich der studierte Historiker vor allem mit gesellschaftlichen Themen, Sexualität, Zeitgeist und Geschlechterfragen. Sein politischer Schwerpunkt liegt auf LGBT-Themen.
Ich treffe Martin an einem Abend im März im Löwenherz, wo er sein jüngste Buch präsentiert. „Die Kapsel – Aids in der Bundesrepublik“ heißt es.
Die Erinnerung kommt hoch
Auf der Fahrt in der Straßenbahn hin zum Schottentor und dann den kurzen Weg in die Berggasse schweifen meine Gedanken zurück in das Jahr 1989. Vor dreißig Jahren ebenfalls im Frühling, habe ich meinen damaligen „festen Freund“ – so nannte man das in dieser Zeit, wenn eine Beziehung immerhin schon sechs Jahre hielt; Eingetragene Partnerschaft und Ehe für alle waren eine Utopie -, also damals hatte ich meinen Freund in das nahegelegene Alte AKH begleitet. Er wurde in die sich dort befindliche Aids-Station aufgenommen. Eine große, Muttermal ähnliche Hautveränderung an der Wade sollte entfernt und untersucht werden. Keiner von uns wusste damals, dass es ein Kaposi-Sakom war, das sich dann ausbreitet, wenn das HI-Virus ungehemmt im Körper tätig war und man schon von einer Aids-Erkrankung sprechen konnte.
Wir waren aber guter Dinge, denn mein Freund fühlte sich soweit wohl und wir wussten nicht Recht, was er überhaupt in einer Abteilung machen sollte, wo bis auf das Skelett abgemagerte Körper in Betten lagen und mit leeren Blicken gegen die Decke starrten.
Ja, er hatte in den letzten Monaten immer wieder Fieberschübe gehabt, die vom Hausarzt als Grippe oder Erkältung diagnostiziert und danach behandelt wurden.
Daß mein Freund bereits krank bis auf den Tod war, war uns beiden nicht bewußt. Ihm nicht und mir nicht. Vermutlich nur den Ärztinnen und Ärzten hier in dieser Spezialabteilung. Aber diese hatten kein Mittel und keine Therapie dagegen.
Peter Supp
Genau dieser Zeit widmet sich Martin Reichert in seinem Buch „Die Kapsel“. Er berichtet vom Schmerz und der Isolation, die viele Menschen vor der Aufklärungs- und Präventionsarbeit sowie der Entwicklung effektiver Medikamente gegen das HI-Virus und die Krankheit Aids, erfahren mussten.