BG8-169 James Cahill: Tiepolo Blau

Don ist Anfang 40 und ein renommierter Kunsthistoriker in Cambridge – die Universität und die Erforschung Tiepolos bedeuten ihm alles. Sein Mentor Val jedoch ist es, der sein Leben lenkt – Val verschafft ihm die Stelle des Direktors eines Museums in London, in Vals Londoner Haus kann Don wohnen. Alles ist arrangiert – doch Dons Leben zerfällt buchstäblich. Er lernt den jungen Kunststudenten Ben kennen, beginnt auf einmal, sich mit seinem eigenen Leben auseinanderzusetzen – er beginnt zu trinken, benimmt sich auf den wichtigen beruflichen Empfängen immer merkwürdiger und traut sich endlich in eine schwule Sauna, in der er leidenschaftlichen Sex hat. Doch seine immer stärker werdende Selbstbeschäftigung gibt ihm keinen Halt. James Cahill hat seinen Roman in einem kühlen Präsens geschrieben, er erzählt scheinbar keine Geschichte, sondern schildert etwas, das wie eine Versuchsanordnung, ein Experiment klingt. Don erscheint immer wieder als Passiver, als manipulierbar und seinem Biotop entrissen, der entrückten akademischen Einsamkeit. Doch dort hätte er nie seine Blockade überwinden können, dem wahren Geheimnis von Tiepolos Malerei auf die Spur kommen können, das er letztlich in der Umgebung findet, die seinen Ruin bedeutet. Ein fesselnd geschriebener und zugleich sehr langsam erzählter Roman über die Rolle, die Kunst in unserem Leben spielen kann – wie unendlich bereichernd und erhellend sie mitunter ist, aber auch darüber, dass sie ein Leben zerrütten kann, das versucht, ihr auf den Grund zu gehen.

James Cahill: Tiepolo Blau
Dt. v. Joachim Bartholomae. D 2024, 400 S., geb.

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