John und Henry sind sich noch nie begegnet, sie kennen sich nur brieflich. Und das soll zunächst so bleiben, denn sie haben etwas äußerst gefährliches vor: Sie wollen gemeinsam ein Buch über Homosexualität schreiben. Es ist das viktorianische England der 1890er Jahre, das revolutionäre Buch soll sowohl medizinische als auch historische Aspekte abdecken – und vor allem Lebensberichte von Schwulen enthalten, die die beiden durch Interviews anhand eines Fragebogens erheben. Dabei stehen strenge Strafen auf schwulen Sex, die beiden setzen ihr eigenes Leben und das ihrer Befragten aufs Spiel. Ein historischer Roman, dieses Buch wurde tatsächlich geschrieben; doch »Das Neue Leben« ist viel mehr – denn Tom Crewe hat sich große Freiheiten genommen, was die historischen vor allem zeitlichen Hintergründe anbelangt. Und es ist diese erzählerische Freiheit, die diesen spannenden Roman so großartig macht: John ist verheiratet, hat sogar Kinder (unter Mühen) gezeugt, und kann sich vor seinen schwulen sexuellen Träumen kaum retten. Als er sich in Frank verliebt, lässt er ihn in seinem Haus einziehen. Henry dagegen ist um einiges jünger und hat gerade geheiratet – es soll eine moderne Ehe sein, seine Frau Edith findet echte Intimität nur bei Frauen, die beiden leben von Anfang an getrennt. Und so wird nicht nur packend von der Entstehung des ersten großen befreienden Buches über Homosexualität erzählt, sondern auch sprachlich fein und einfühlsam dargestellt, was dieses Unternehmen für die beiden Verfasser persönlich bedeutete. Bewegungsgeschichte hautnah.
Tom Crewe: Das Neue Leben, Dt. v. Frank Heibert. D 2023, 400 S., geb.